Texte
Rede zur Ausstellung „Übergänge“ / Berlin 2012
Ina Mayer · Handscapes
Ausschnitt aus der Eröffnungsrede zur Ausstellung „Übergänge“ 2012 mit Katharina Poos und Alice von Kieseritzky,
Ort : Regatta 100, Berlin
Auch Ina Mayer erzeugt Muster. Aber was für welche! Nicht strenge Symmetrie ist ihr Markenzeichen, sondern überbordende Opulenz und eine durch Übermalungen hergestellte intensive Farbigkeit. Ornament ist hier ganz offensichtlich kein Verbrechen, sondern erwünscht. Immer wiederkehrender Grundbaustein sind kleine, wie Perlen an Schnüren aufgereihte Foto-Sequenzen von Händen – ihren Händen – die arbeiten – kochen, spülen, die Nägel lackieren u.s.f. Es sind alltägliche Verrichtungen, als Hand-Arbeiten vielleicht auch ein Kommentar zur Geschichte „weiblicher“ Handarbeiten und der Rolle des Kunsthandwerks, vor allem aber als präzise, in kleinen Schritten abzuarbeitende Rituale des Alltags etwas, das die Zeit zyklisch gestaltet, sie in einen Kreislauf des Seins überführt.
Und so finden wir fast überall Kreise in vielerlei Gestalt, als Ketten, als Blasen, als Beckenrund usf. Der Bildaufbau wird immer komplexer, immer vielschichtiger. Der mikroskopische Alltag wird raffiniert eingeblendet in makroskopische Muster von Innenräumen und ganzen Stadtansichten. Das könnte sich fortsetzen bis ins Unendliche. Einen Halt im Überschwang bietet am Ende die Genauigkeit der einzelnen Geste. Daran erkennt man die Künstlerin.
Rede zur Ausstellung „Thalhaus“ / Wiesbaden 2008
Ina Mayer · Handscapess
Wem auch immer ich den Katalog von Ina Mayer zeigte während meiner Vorbereitungen zu dieser bemerkenswerten Ausstellung, der Kommentar war meist, ah, das erinnert mich an etwas, ach ja, wie der Blick durch ein Kaleidoskop….
Ich suchte in den Texten, im Katalog und in den Unterlagen, die mir Ina Mayer gegeben hatte, aber dieses Wort fand ich nirgendwo, ich fand viele andere, auf die ich auch noch eingehen möchte, weil sie gut passen, aber erst mal will ich mir dieses Ding vor Augen führen, das Kaleidoskop, das von dem griechischen Wort Schönbildseher abgleitet wurde.
Wahrscheinlich kennen wir es alle, dieses kleine Rohr mit der Linse und den vielen tausendfachen Spiegelungen unendlich schöner Kleinigkeiten, diese überraschenden Explosionen von Licht, Farbe und Form bei jeder Drehung. Fast schmerzhaft spürbar ist mir auch noch die Ungeduld, endlich selbst in diesen so offensichtlichen Genuss zu kommen, wenn man hintan stand und nur am offen staunenden Mund des Betrachters das Ausmaß dieser Kostbarkeit ahnen konnte, gib her, gib her, ich will auch gucken, lass mich auch mal sehen….
Ja, und endlich dessen habhaft geworden, sofort der Wunsch, etwas davon festzuhalten, es zu bewahren, gleichzeitig verbunden mit dem Wissen, dass es unmöglich ist; denn, eine Drehung und aus und vorbei, aber dann: die nächste Drehung und die tausendfache Entschädigung für das verlorene Glück.
Und jetzt, die Konfrontation mit diesen Bildern, diesen Fotomosaiken von Ina Mayer. Da, endlich, jemand hat genau das festgehalten, angehalten, zusammengesetzt, was uns in den Trugbildern der Kaleidoskope erschienen war, ohne das irgendwas verlorengegangen wäre und ohne dass man das vorherige oder das nächste Bild vermisst.
Das sind Erscheinungen, die gleichsam vertraut und fremd wirken, alles kommt einem bekannt vor, und doch ist alles anders. Sie sind merkwürdig kompliziert und einfach zugleich, sie wirken durch die ständige Wiederholung von Farben, Mustern und Motiven belebend und irritierend. Man taucht ein, die Oberfläche kräuselt sich und man findet sich in einer anderen Welt. Sie lässt zumindest mich beglückt im Rausch der Farben, Rhythmen und rätselhaften Formationen herumwandern.
Ina Mayer narrt uns Betrachter; den Faden, den man glaubt gefunden zu haben, den Weg den man glaubt gehen zu können, sie entziehen sich einem, immer wieder muss man neu ansetzen, sucht den Anfang, möchte entwirren und wird dabei unmerklich hineingezogen in tiefere Schichten, verborgene Räume, vielfältige Schönheit.
Sie selbst sagt: Das Leben entfaltet sich zu einem Netz aus Wegen, Verzweigungen und Knotenpunkten, aber dem verständlichen Bedürfnis nach Überschaubarkeit, Orientierung und Einordnung trägt sie nur vermeintlich Rechnung.
Die einfachen Dinge zu Leuchten bringen, will sie. Das Arrangieren der Dinge ist der Sinn meiner Arbeit, sagt sie, das ist der Inhalt, es gibt keine symbolhafte Überhöhung, es gibt nichts hinter der Oberfläche. Gewollt sind unendliche Räume ohne Zentrum und Horizont, ohne oben und unten, selbst die natürliche Begrenzung des Bildes erweitert sie und löst sie auf.
Die Oberflächen mit ihren vermeintlichen Inhalten werden zu neuen komplexen Formationen arrangiert, sie erfindet Strukturen, Muster, Verknüpfungen, Netze. So fügt sie aus vielen bunten Einzelteilen ein organisiertes Chaos zusammen und webt große Ornamente mit, wie sie sagt „nichthierarchischen Verzweigungsstrukturen“
Da ist für mich der eigentliche Sinn verborgen.
Dieses keine Schwerpunkte setzen, die einfachen Tätigkeiten, bei denen sie sich selbst fotografiert hat, in der rhythmischen Widerholung gleichwertig nebeneinander gelten zu lassen und ihnen damit eine neue Wertigkeit zukommen zu lassen.
Fast liegt darin für mich ein Schlüssel zur Bewältigung des Alltags verborgen; die immer gleichen Tätigkeiten im Haushalt, bei der Arbeit, in der Liebe, in der Freizeit, wie langweilig und eintönig können sie daherkommen, wie stumpfsinnig und öde. Neu zusammengesetzt werden sie zu facettenreichen und spannenden Mustern, die wir mit Lust und großem Vergnügen betrachten können.
Ina Mayers Aufenthalte in Indien haben Spuren hinterlassen, die Ornamentik islamischer Kunst, die Prächtigkeit hinduistischer Bildauffassung, all das fließt mit ein in diese Werke, die sich so schwer in die Schubladen unseres vertrauten kunstgeschichtlichen Kanons einordnen lassen. Wenn überhaupt, so sagt sie selbst, dann wäre es Matisse, der mit der ihm eigenen ornamentalen Bildsprache einen gewissen Einfluss auf sie gehabt hätte.
Entdecken Sie ihre eigene Welt in den verschlüsselten Bildwelten von Ina Mayer. Viel Vergnügen und Erkennen dabei.
Theresia Hebenstreit
Rede zur Ausstellung „Art Station“ / Zürich 2008
Ina Mayer · Handscapes
Ausstellung „Art Station“, Zürich 2008 , Eröffnungsrede von Andrea Sterczer
Wenn Meister Eckehart noch im 13. Jahrhundert für das Erkennen des Selbst und der Dinge ein geordnetes nach Prinzipien aufgestelltes Orientierungssystem hatte, hat unser Zeitalter komplizierte Netze, Verzweigungen und Knotenpunkte. Jedenfalls wenn wir Ina Mayers Werke vor Auge haben. In ihren Bildern suchen wir vergebens nach einem Anfang, Ende oder nach einem Faden. Der Mythos mit dem Knäuel Wolle, welches Ariadne Theseus gegeben hat und mit dessen Hilfe dieser den Weg durch das Labyrinth gefunden hat in dem sich der Minotauros befand, ist ausgeträumt. Wir haben es jetzt eher – um bei der griechischen Mythologie zu bleiben – mit Fäden zu tun, welche die Schicksalsgöttinnen, die Moiren, unentwegt spinnen.
Was wird gesponnen? Kaleidoskopartige, tausendfache Spiegelungen, „arrangierte Dinge“, „nichthierarchische Verzweigungsstrukturen“- wie Ina Mayer es selber sagt –, Ornamentik, Muster. Erst beim näheren Hinsehen entpuppen sich die Dinge. Wir erkennen Vorkommnisse, Erscheinungen, die gleichsam vertraut und fremd wirken. Wir sehen Hände, die mit dem Alltäglichen beschäftigt sind: Kartoffeln und Eier schälen, Zitronen schneiden, Karten spielen, Sushi zubereiten, abspülen, malen, putzen, blättern, falten, gestalten und massieren. Wir sehen bekannte Architekturelemente: Häuserfassaden, Innenräume, Klosterkreuzgänge, Fensterfronten, Treppen, Arkaden, Museen voll mit Bildern, Durchgänge von einem Raum in einen anderen. Nichts Ungewöhnliches bis wir uns die Frage stellen: Wo sind die Menschen? Alles ist von Menschenhand geschaffen, es sind Dinge und die dazu nötigen Hände, aber nirgendwo ist eine menschliche Figur zu erblicken. Ina Mayers Bilder beschwören paradoxerweise die simultane An- und Abwesenheit vom menschlichen Dasein und dadurch gerät das Wohlbekannte in das Entfremdete.
Wie und womit wird gesponnen? Mit Girlanden, biomorphen Mehrfüsslerschlangen, zusammengefügten amorphen Zellengebilden, geometrischen Zickzackgestalten, Rastern, Meanderlinien, quer-und kreuzläufenden Bahnen und kugelartig brechenden Sequenzen. Es gibt keine Richtungsangabe.
Wie sind die Motive arrangiert? Hier wird die ganze Palette der Perspektivenbildung, die ein Darstellungsprinzip der Kunstgeschichte ist, miteinander verknüpft und auf verblüffende Weise kombiniert. Wir haben es bei ihren Bildern mit Frosch- und Vogelperspektive zu tun, also mit von unten nach oben oder von oben nach unten laufender Sicht der Dinge. Mit weitläufigen Panoramalandschaften, die mit einer umgekehrten, also nicht in das Bild zu einem Fluchtpunkt hinein, sondern konvex aus dem Bild heraus verlaufender Zentralperspektivedarstellung verbunden werden.
Ein immenses Repertoire der Kunstgeschichte wird in Erinnerung gerufen, wie zum Beispiel die Exzentriker der Renaissance, wie Carpaccio, Crivelli oder Tura, die aus „horror vacui“ die Bildfläche mit ihren figurativen und ornamentalen Mustern bedeckt haben, oder die künstlerischen Bewegungen des zwanzigsten Jahrhunderts, wie Futurismus, Rayonismus, Op Art, Shaped Canvas oder Objektkunst. Dies ohne, dass Ina Mayer sich konkret auf die eine oder andere Richtung berufen würde.
Alles ist mit Allem verwoben. Reisen, Einflüsse, Erlebtes, Imaginäres, Farben, Rhythmen, Himmel, Erde, Indien, Arabien, Märchen, San Francisco, Berlin, Zürich.
Ein Karussell des Lebens. Die Titel der Bilder sind häufig zwiespältige, amüsante und humorvolle Kommentare, geben subtile Hinweise und regen zum gedanklichen Weiterspinnen der Bilder an.
„Mein einziger Gedanke ist eine komplizierte Einfachheit. Ich liebe eine Sache einfach, aber sie muss einfach sein durch die Kompliziertheit hindurch.“ ( Gertrude Stein )
Andrea Sterczer, Dezember 2007